Nachlass Hermann Weinkauff
Extent and Medium
0,6 lfd. m
Scope and Content
Das Fritz Bauer Institut erhielt den Nachlass Hermann Weinkauff im Juni 2023 von seiner Enkelin. Hermann Weinkauff (1894-1981) wurde am 10.02.1894 in Trippstadt in der Rheinpfalz geboren. Bis zu seinem Abitur 1912 besuchte er das Humanistische Gymnasium in Speyer und studierte anschließend in München, Heidelberg, Paris und Würzburg Rechtswissenschaft. In München wurde er Mitglied der Studentenverbindung Corps Hubertia München. Am Ersten Weltkrieg nahm Weinkauff als Freiwilliger der bayerischen Feldartillerie an der Westfront und ab 1917 als Leutnant der Reserve teil. 1920 legte er das erste juristische Staatsexamen ab und trat anschließend den juristischen Vorbereitungsdienst in Speyer und München an. 1922 legte er das zweite juristische Staatsexamen ab und wurde zum Gerichtsassessor im Bayerischen Staatsministerium der Justiz ernannt. Ein Jahr später folgte die Ernennung zum III. Staatsanwalt. Weinkauff blieb zunächst im Bayerischen Justizministerium, wechselte dann jedoch an das Landgericht München I und die Amtsanwaltschaft München. Von 1925 bis 1928 erfolgte eine Abordnung als sogenannter "Hilfsarbeiter" an die Reichsanwaltschaft in Leipzig, zuletzt als II. Staatsanwalt "außer dem Stande" beim Landgericht München I. Von 1928 bis 1929 wurde Weinkauff zum Studium des französischen Rechts nach Paris entsandt. 1930 kehrte er in den bayerischen Justizdienst zurück und erhielt hier eine Anstellung als dienstaufsichtsführender Oberamtsrichter am Amtsgericht Berchtesgarden, bevor er 1932 zum Landgerichtsrat im Bayerischen Justizministerium ernannt und ab 1935 erneut als "Hilfsarbeiter" an die Reichsanwaltschaft in Leipzig abgeordnet wurde. Von 1935 bis 1937 bekleidete Weinkauff das Amt eines Hilfsrichters am Reichsgericht, zunächst im 3. Strafsenat unter Erwin Bumke, ab 1936 dann im I. Zivilsenat und zuletzt als Reichsgerichtsrat und stellvertretender Vorsitzender des I. Zivilsenats. Im Rahmen seiner Tätigkeit am Reichsgericht war Weinkauff, der 1934 dem Bund Nationalsozialistischer Deutscher Juristen (Rechtswahrerbund) und der Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt beitrat, an mindestens einem Revisionsverfahren beteiligt, das sich mit einem Fall von sogenannter "Rassenschande" auseinandersetzte. Mit Ende des Zweiten Weltkrieges wurde Weinkauff 1945 im US-amerikanischen Internierungslager Nr. 15 im bayerischen Schrobenhausen inhaftiert. Nach seiner Entlassung im Jahr 1946 wurde er zum Präsidenten des Landgerichts Bamberg ernannt und ging einer nebenamtlichen Lehrtätigkeit an der Philosophisch-Theologischen Hochschule Bamberg nach. 1949 folgten ein Studienaufenthalt in den USA sowie die anschließende Ernennung zum Präsidenten des Oberlandesgerichts Bamberg und zum Mitglied des Bayerischen Verfassungsgerichtshofes. Nur ein Jahr später wurde Weinkauff am 01.10.1950 von Bundespräsident Theodor Heuss zum ersten Präsidenten des neu gegründeten Bundesgerichtshofes in Karlsruhe ernannt. 1951 erhielt er die Ehrendoktorwürde der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg. Am 01.03.1960 ging Weinkauff in den vorzeitigen Ruhestand. Anschließend wurde ihm 1960 das Große Bundesverdienstkreuz mit Stern und Schulterband sowie im Mai 1961 der Bayerische Verdienstorden verliehen. Er starb am 09.07.1981 im Alter von 87 Jahren in Heidelberg. In die Zeit Hermann Weinkauffs als Präsident des Bundesgerichtshofes fallen die Ermittlungen und das Verfahren gegen den sogenannten Naumann-Kreis im Jahr 1953. Der ehemalige Staatssekretär im Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda, Werner Naumann, hatte zusammen mit Gleichgesinnten versucht die Freie Demokratische Partei (FDP) zu unterwandern um so einen rechtsgerichteten Umsturz in der Bundesrepublik herbeizuführen. Der Bundesgerichtshof stellte das Verfahren gegen Naumann und andere im Sommer 1953 ein. Im Jahr 1954 widersetze sich Hermann Weinkauff einer Entscheidung des Bundesverfassungerichts vom Dezember 1953, das die Verfassungsbeschwerde einiger ehemaliger Gestapobeamter auf Wiedereinsetzung in ihr Beamtenverhältnis auf Grundlage des "Gesetzes zur Regelung der Rechtsverhältnisse der unter Artikel 131 des Grundgesetzes fallenden Personen" zurückgewiesen hatte. Das Bundesverfassungsgericht stellte in seinem Urteil fest, dass aufgrund der totalen Entrechtung, der Gleichschaltung und dem Schwur auf Adolf Hitler die Beamtenverhältnisse während des Nationalsozialismus keine im traditionellen Sinne gewesen seien und daher nicht als solche fortbestehen könnten. Weinkauff hingegen tat die Unrechtshandlungen von Juristen in der NS-Zeit als "bloßen Zierrat" ab. Am 20.05.1954 erging in diesem Sinne ein Urteil des Bundesgerichtshofes, das die Bindung der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes vom Dezember 1953 in Fragen der Wiederherstellung von Beamtenverhältnissen aus der Zeit des Nationalsozialismus schlichtweg nicht anerkannte. Ein für die Bundesrepublik einmaliger Vorgang. Im Jahr 1957 wurde unter Weinkauffs Präsidentschaft im Gebäude des Bundesgerichtshofes in Karlsruhe eine Gedenktafel für 34 Reichsrichter und -anwälte angebracht, die 1945/46 in sowjetischen Internierungslagern verstorben waren. Ein Großteil von ihnen hatte NS-Unrechtsgesetze angewendet oder bereits vor 1933 bestehende Gesetze im Sinne des Nationalsozialismus ausgelegt. Bei der Enthüllung der Gedenktafel bezeichnete Weinkauff die verstorbenen Juristen dennoch als "unschuldige Opfer" und "Märtyrer des Rechts". Nach seiner Pensionierung im Jahr 1960 widmete sich Weinkauff im Auftrag des Instituts für Zeitgeschichte in München einer Abhandlung über die deutsche Justiz im Nationalsozialismus. Die Arbeit wurde im Jahr 1968 veröffentlicht. Darin bescheinigte Weinkauff sich selbst und seinen Kollegen eine Wehrlosigkeit gegenüber dem NS-Unrecht. Die meisten Juristen hätten sich nach 1933 dem Grundsatz "Gesetz ist Gesetz" verpflichtet gefühlt und daher nicht in der Lage gesehen, etwas gegen die nationalsozialistische Rechtsprechung zu unternehmen.
Der Nachlass Hermann Weinkauff umfasst nach Erschließung, Entmetallisierung und Umbettung 14 Archiveinheiten mit einem Gesamtumfang von 0,6 lfd. m. Er besaß bei der Übernahme im Juni 2023 keine innere Ordnung, so dass bei der Verzeichnung durch den Bearbeiter Johannes Beermann-Schön im Juli 2023 eine komplette Neuordnung geschaffen werden musste. Diese orientiert sich an den "Regeln zur Erschließung von Nachlässen und Autographen" (RNA). Der Gesamtbestand gliedert sich seitdem in die drei Teilbereiche "Korrespondenzen", "Lebensdokumente" und "Sammlungen". Der Bereich "Korrespondenzen" umfasst sowohl private als auch berufliche Briefwechsel. Er zeugt u. a. vom Bemühen Hermann Weinkauffs in den 1930er-Jahren seine "arische" Abstammung nachzuweisen und dokumentiert in einem kurzen Briefwechsel mit Bundesjustizminister Thomas Dehler Weinkauffs Einschätzung der Ermittlungen zum Naumann-Kreis. Der Bereich "Lebensdokumente" enthält neben Ausweisen und Urkunden Weinkauffs aus verschiedenen Lebensphasen u. a. Unterlagen betreffend sein Entnazifizierungsverfahren und seinen beruflichen Werdegang. Ebenfalls Teil dieses Bereiches ist eine umfangreiche Fotosammlung mit größtenteils noch nicht identifizierten Aufnahmen, die Ereignisse und Personen aus dem Umfeld Weinkauffs am Reichsgericht in Leipzig und am Bundesgerichtshof in Karlsruhe zeigen. Der Bereich "Sammlungen" enthält eine kleine Presseausschnittsammlung sowie einige Realia, darunter Weinkauffs Großes Bundesverdienstkreuz mit Stern und Schulterband sowie seinen Bayerischen Verdienstorden.
Subjects
- Reichsgericht
- Bundesgerichtshof
Places
- Leipzig
- Karlsruhe
- Bamberg
Bequest Hermann Weinkauff
Extent and Medium
0.6 running meters
Scope and Content
The Fritz Bauer Institute acquired the bequest of Hermann Weinkauff from his granddaughter in June 2023. Hermann Weinkauff (1894-1981) was born in Trippstadt in Rhenish Palatinate on February 10, 1984. Until his Abitur in 1912, he attended the classical language high school in Speyer. He then studied law in Munich, Heidelberg and Würzburg. In Munich, he became a member of the fraternity Corps Hubertia Munich. Weinkauff participated in the First World War as a Bavarian field artillery volunteer at the Western Front and since 1917 as a reserve lieutenant. In 1920, he passed his first juridical state examination and completed his legal preparatory service in Speyer and Munich. In 1922, he passed the second state examination and became a probationary judge at the Bavarian Justice Department. He then was appointed III. state prosecutor. Weinkauff initially stayed at the Bavarian Justice Department but then switched to the Landgericht Munich I and the Amtsanwaltschaft Munich. Between 1925 and 1928, he was delegated as a so-called "Hilfsarbeiter" to the Reichsanwaltschaft in Leipzig and lastly became state prosecutor "außer dem Stande" at the Landgericht Munich I. In 1928 and 1929, Weinkauff was sent to Paris to study French law. In 1930, he returned to the Bavarian judicial service and worked as a supervising Oberamtsrichter at the Amtsgericht Berchtesgaden. He then was appointed Landgerichtsrat at the Bavarian Justice Department in 1932 and once again delegated as a "Hilfsarbeiter" to the Reichsanwaltschaft in Leipzig. From 1935 to 1937, Weinkauff held the office of the assistant judge at the Reichsgericht, first at the third criminal division headed by Erwin Bumke and as of 1936 at the first criminal division. Finally, he became Reich's court official (Reichsgerichtsrat) and substitutional president of the first Civil Senate. During his occupation at the Reichsgericht, Weinkauff participated in at least one appeal proceedings concerning a case of so-called "racial defilement". Since 1934, Weinkauff has been a member of the Bund Nationalsozialistischer Deutscher Juristen (Rechtswahrerbund) and the Nationalsozialistische Volkswohlfahrt. In 1945, at the end of the Second World War, Weinkauff was arrested and imprisoned at the US-American internment camp no. 15 in Schrobenhausen, Bavaria. After his discharge in 1946, he was appointed president of the Landgericht Bamberg. As a second job, he taught at the Philosophisch-Theologische Hochschule Bamberg. In 1949, he traveled to the US for a study trip. Then, he was appointed president of the Oberlandesgericht Bamberg and a member of the Bavarian Constitutional Court. Just one year later, on October 1, 1950, Federal President Theodor Heuss appointed him the first president of the newly founded Federal Court of Justice in Karlsruhe. In 1951, he was awarded an honorary doctorate from the Ruprecht-Karls-University Heidelberg. Weinkauff retired early on March 1, 1960. The same year, he was decorated with the Grand Federal Cross of the Order of Merit and in May 1961 honored with the Bavarian Order of Merit. He passed away in Heidelberg on July 9, 1981, at age 87. While Hermann Weinkauff was the president of the Federal Court of Justice, in 1953, the court conducted the investigation and proceedings against the so-called Naumann circle. Werner Naumann, the former state secretary at the Reich Ministry of Public Enlightenment and Propaganda, had tried to infiltrate the Freie Demokratische Partei (FDP) together with like-minded individuals. They aimed to cause a right-leaning overthrow in the Federal Republic. The Federal Court of Justice closed the proceedings against Naumann and others in the summer of 1953. In 1954, Hermann Weinkauff opposed a Federal Constitutional Court's decision to reject the constitutional complaint of several former Gestapo officers. They had claimed their reinstatement in their civil servant status based on the "Gesetz zur Regelung der Rechtsverhältnisse der unter Artikel 131 des Grundgesetzes fallenden Personen". The Federal Constitutional Court ruled that the civil servant status during National Socialism was of different character due to the absolute deprivation of rights, the cooptation, and the oath to Adolf Hitler. Since the civil servant status was no traditional civil servant status it could not subsist. Weinkauff, however, dismissed the Gestapo officer's wrongdoings during the Nazi era as "mere embellishment". On May 20, 1954, the Federal Court of Justice gave a verdict in this view, simply disacknowledging the binding decision already made by the Federal Constitutional Court in December 1953. This event is unprecedented in the history of the Federal Republic of Germany. In 1957, during Weinkauff's presidency, a memorial plaque was installed at the Federal Court of Justice's building in Karlsruhe remembering 34 Reich judges and attorneys who had died in Soviet detention camps in 1945 and 1946. Most of the judges and attorneys had applicated unjust Nazi laws and had construed existing laws following the National Socialist ideology even before 1933. Weinkauff nevertheless declared the deceased jurists "innocent victims" and "martyrs of justice" at the unveiling of the plaque. After his retirement in 1960, Weinkauff applied himself commissioned by the Institute for Contemporary History in Munich to a treatise on the German justice in the Nazi era. The work was published in 1968. In it, Weinkauff attests himself and his colleagues a defenselessness against the Nazi injustice. Most of the jurists had felt obliged to the principle "law is law" after 1933 and therefore had not seen themselves in a position to act against the Nazi jurisdiction.
The bequest Hermann Weinkauff covers after description, demetallization, and filing 14 archival units with a total extent of 0.6 running meters. Since it did not have an inner structure upon the acquisition in June 2023 the processor Johannes Beermann-Schön completely reorganized the holding during indexing in July 2023. It follows the "rules for the description of personal papers and autographs" (RNA, Regeln zur Erschließung von Nachlässen und Autographen). The archives group is now structured in three sections: "correspondence" ("Korrespondenzen"), "personal documents" ("Lebensdokumente"), and "collections" ("Sammlungen"). The section "correspondence" ("Korrespondenzen") covers private as well as work-related letters. Among other things, it documents Weinkauff's efforts to prove his "Aryan" descent in the 1930s and his assessment of the investigation against the Naumann circle that he worded in a short correspondence with the Federal Minister of Justice Thomas Dehler. The section "personal documents" ("Lebensdokumente") contains identification cards and certificates from different life phases of Weinkauff and records regarding his denazification and his professional career. This section also includes a comprehensive photo collection with mostly unidentified photos showing events and people of Weinkauff's social environment at the Reichsgericht in Leipzig and the Federal Court of Justice in Karlsruhe. The section "collections" consists of a small collection of newspaper clippings and several realia including Weinkauff's Grand Federal Cross of the Order of Merit and his Bavarian Order of Merit.
Subjects
- Federal Court of Justice
- Reichsgericht
Places
- Karlsruhe
- Bamberg
- Leipzig