Hamburger Komitee zur Wahrung demokratischer Rechte

Identifier
BY 4
Language of Description
German
Dates
1 Jan 1950 - 31 Dec 1975
Level of Description
Collection
Languages
  • German
Source
EHRI Partner

Extent and Medium

Schriftgut

183 Aufbewahrungseinheiten

Creator(s)

Scope and Content

Geschichte des Bestandsbildners

Der genaue Zeitpunkt der Gründung des Hamburger Komitees zur Wahrung demokratischer Rechte ist an Hand der Akten nicht ermittelbar. Das überlieferte Schriftgut jedoch weist auf Aktivitäten bereits ab dem Jahre 1950 hin. Sie fallen somit in eine Zeit, in der sich in der Bundesrepublik Deutschland die Möglichkeit einer deutschen Wiederbewaffnung, etwa ab 1948, und eine vielgestaltige Opposition dagegen andeutete. Die ersten Reaktionen auf die Ankündigung der Wiederaufrüstung waren massenhafte spontane Verweigerungsdrohungen einer "ohne mich" und "ohne uns"- Bewegung. Eine weiterführende Phase des Widerstandes wurde durch einen politischen Vorstoß Martin Niemöllers, seinen Brief an den Bundeskanzler Konrad Adenauer, ausgelöst. Er fordert darin eine "echte" Befragung der Bevölkerung oder Neuwahlen vor der Einleitung der Wiederbewaffnung. Die Regierung Adenauer lehnte beides jedoch ab. Anders dagegen die oppositionellen Kräfte: Während die Sozialdemokraten von nun an regelmäßig Neuwahlen für den Bundestag forderten, wurde der Vorschlag der Volksabstimmung von der außerparlamentarischen Opposition aufgegriffen und versucht, diesen zu verwirklichen. Gustav Heinemann, in Folge der Pläne Adenauers als Innenminister der Regierung zurückgetreten, und Ulrich Noack vom Nauheimer Kreis scheiterten zunächst mit einer Unterschriftensammlung gegen die Pläne der Wiederbewaffnung. Die KPD hingegen machte die Volksbefragung zu ihrer zentralen Aktionslosung. Innenpolitisch versuchte sie, gestützt auf ihre ausgebaute Kaderorganisation, Betriebsgruppen und Gewerkschaftsfunktionäre, den Widerstand gegen die Remilitarisierung als eine Ausdrucksform von Klassenkampf zu organisieren und diese Aktionen mit allen anderen außerparlamentarischen Aktivitäten in einer einheitlichen Widerstandsbewegung zu verbinden. Nach dem Vorbild der Volkskongresse von 1947/48 organisierte die KPD im Januar 1951 den Essener Kongress "Rettet den Frieden". 1700 Delegierte aus unterschiedlichsten Organisationen forderten die Bundesregierung zu einer Volksbefragung auf, deren Text lautete: "Sind Sie gegen die Remilitarisierung Deutschlands und für den Abschluss eines Friedensvertrages mit Deutschland im Jahre 1951?" Bereits am 24. April 1951 wurde aber durch einstimmigen Kabinettsbeschluss die Volksbefragung mit der Begründung verboten, dass sie einen Angriff auf die verfassungsmäßige Ordnung der Bundesrepublik Deutschland darstelle. Gleichzeitig mit dem Verbot der "Volksbefragung" wurden ebenfalls auch alle die Organisationen verboten, die daran aktiv beteiligt waren, insbesondere die dazu errichteten Ausschüsse, sowie die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN), die Freie Deutsche Jugend (FDJ), der Gesamtdeutsche Arbeitskreis für Land- und Forstwirtschaft und das Deutsche Arbeiter-Komitee. Deren Aktivitäten galten als gegen die verfassungsmäßige Ordnung gerichtet und wurden daher durch Art. 9 Abs. 2 GG kraft Gesetzes verboten. Das Verbot war eingebettet in eine Strafrechtsänderung, deren Ziel es war, kommunistische Vereinigungen und ihre "Tarnorganisationen" legal verbieten zu können. Im Zeitraum von 1951 bis 1958 wurden insgesamt 80 solcher Verbote in den Bundesländern ausgesprochen. Davon betroffen waren u.a. die FDJ, deren offizielles Verbot am 16.02.1954 erging und die VVN, die wie die FDJ schon 1951 verboten werden sollte, was aber nur in einzelnen Bundesländern - rechtsungültig - geschehen war. Aber trotz des Verbots durch die Bundesregierung setzten die Mitglieder der Volksbefragungsausschüsse ihre Aktionen zunächst fort.

In den einzelnen Bundesländern kam es nach der Fortsetzung der verbotenen Volksbefragungen im Jahre 1951 zu polizeilichen Maßnahmen: zu Versammlungsauflösungen, Beschlagnahmen und Festnahmen sowie zu Zeitungsverboten. So auch in Hamburg. In dieser Zeit muss sich die Gründung des Hamburger Komitees zur Wahrung demokratischer Rechte vollzogen haben, denn sein Ziel und seine Aufgabe bestanden unmittelbar darin, die angeklagten Aktivisten eben jener verbotenen Vereinigungen, Organisationen und Parteien rechtlich zu vertreten. Der "Hauptausschuss" der Volksbefragung registrierte 8781 Polizeieinsätze gegen Befragungsaktionen, 7331 Festnahmen und die Einleitung von über 1000 Gerichtsverfahren. Wahlurnen und Stimmzettel wurden beschlagnahmt. Ende Juni 1951 waren von 14 kommunistischen Tageszeitungen bis auf zwei alle wegen der Unterstützung der Befragungsaktion vorübergehend verboten, mehrere Großkundgebungen wurden von der Polizei aufgelöst.

Die Kommunisten, die bereits 1952 weitgehend ausgegrenzt und selbstisoliert waren, wurden durch das Verbot ihrer Partei am 17. August 1956 nach fünfjähriger Prozessdauer in die Illegalität gedrängt. Sie mussten in großer Zahl und wiederholt den politischen und rechtlichen Schutz des Hamburger Komitees zur Wahrung demokratischer Rechte in Anspruch nehmen.

Bestandsbeschreibung

Das Zentrale Parteiarchiv der SED (ZPA) erwarb bereits seit den 60er Jahren Sammlungsgut der KPD und anderer linker Parteien und Bewegungen der Bundesrepublik Deutschland, v.a. von Privatpersonen. Vereinzelt erhielt das ZPA zu dieser Zeit bereits Bibliotheks- und Schriftgut, einschließlich Druckschriften, aus dem Apparat der KPD und von der Westabteilung des ZK der SED.

Nach Beendigung der Arbeit der KPD 1971 und der Abwicklung des noch existierenden Restapparates sowie der Neuorientierung der Arbeit der Westabteilung übergaben diese größere Mengen Sammlungsgut unter der Bezeichnung "Demokratische Massenorganisationen und Bewegungen in der WBZ/BRD", aber auch Schriftgut aus Registraturen verschiedener linker Organisationen dem ZPA. Zu letzteren muss insbesondere das Schriftgut dreier Hamburger, regionaler Organisationen gerechnet werden, die etwa in den Jahren 1950 bis 1975 im linken Spektrum der Parteien, Organisationen und Bewegungen der Bundesrepublik aktiv waren. Diese Materialien wurden entsprechend dem Vertrag vom 25. Dezember 1992 zwischen der Partei des Demokratischen Sozialismus und der Bundesrepublik Deutschland in die Stiftung Archiv der Parteien und Massenorganisationen im Bundesarchiv eingebracht. Während danach das überlieferte Sammlungsgut überwiegend auch zu Sammlungsbeständen formiert wurde, wie z.B. zu den Beständen SgY 18 / DKP, SgY 28 / SPD, SgY 27 / Parteien, Organisationen und Bewegungen in den WBZ/BRD und SgY 26 / Antifaschistische Ausschüsse und Komitees in Ost- und Westdeutschland, bildet das aus Hamburg überlieferte Registratur- und Schriftgut die Archivgutbestände BY 2 / Kampagne für Abrüstung-Ostermarsch der Atomwaffengegner / Arbeitsgruppe Hamburg, den Bestand BY 3 / Landesfriedenskomitee Hamburg sowie den Bestand BY 4 / Hamburger Komitee zur Wahrung demokratischer Rechte. Dieser umfasste vor der Erschließung etwa 1 lfm Schriftgut. Im Ergebnis der Bewertungs- und Ordnungsarbeiten liegen 182 AE verzeichnet vor. Es wurde nur sehr vereinzelt kassiert, v.a. Zeitungsausschnitte und Dubletten. Der Zeitraum der Überlieferung erstreckt sich von 1950 bis 1974. Die Einstellung der Tätigkeit des Komitees erfolgte im Februar 1974 (siehe auch Akte BY 4/ 7 des Bestandes).

Das Archivgut beinhaltet in seiner übergroßen Mehrheit Rechtshilfeanträge und Prozessunterlagen, Korrespondenz mit Rechtsanwälten und anderen Behörden sowie Maßnahmen zur Unterstützung angeklagter und inhaftierter Mitglieder der KPD und ihr nahestehender Organisationen. Sieben Akteneinheiten enthalten Meldungen und Untersuchungen zu restriktiven Maßnahmen von Polizei und Behörden, zur Bildung von Ausschüssen zur Verteidigung in politischen Strafsachen, sowie Dokumente von Landesdelegiertenkonferenzen und Prozessen zur Aufhebung des KPD-Verbots.

Klassifiziert wurden drei Hauptgruppen bzw. Gliederungsgruppen:

  1. Unterlagen zur politischen und organisatorischen Tätigkeit des Komitees

  2. Rechtshilfeanträge und Unterlagen über Strafverfolgungen gegen Personen

  3. Rechtshilfeanträge und Unterlagen über Strafverfolgungen gegen Organisationen.

Innerhalb der Klassifikationsgruppen wurden Bandreihen gebildet. Zunächst eine Serie mit sieben Bänden zu den politisch-organisatorischen Aktivitäten des Komitees und insgesamt 21 Bandreihen entsprechend dem Anfangsbuchstaben des Namens der Angeklagten von A-Z sowie vier Bandreihen Organisationen betreffend. Die Einzelbände beinhalten die jeweiligen Rechtshilfeanträge und Prozessunterlagen. Sehr ausführlich wurde mit dem Personenindex gearbeitet. Sämtliche in den jeweiligen Prozessen angeklagten Personen wurden in diesen Index aufgenommen.

Ergänzende Informationen zur Geschichte und dem Wirken des Hamburger Komitees zur Wahrung demokratischer Rechte finden sich in den Überlieferungen der Westabteilung des ZK der SED (DY 30), in den Beständen KPD / Bundesrepublik Deutschland (BY 1), Parteien, Organisationen und Bewegungen in den WBZ/BRD (SgY 27) sowie in den Polizei und Justizbeständen der BRD und verschiedenen Nachlässen.

Erschließungszustand

Online-Findbuch in ARGUS

Zitierweise

BArch BY 4/...

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